Prof. Dr. Norbert Lammert: Demokratie braucht Demokraten: Freiheit bedeutet Verantwortung

„Wir leben in einem Ausnahmezustand der deutschen Geschichte“, lautete Prof. Dr. Norbert Lammerts erste These, als er am Montag im Käthe-Kollwitz-Gymnasium zu Gast war und vor 250 Gästen einen Vortrag zum Thema „Demokratie braucht Demokraten“ hielt. Wie hochaktuell dieses Thema ist, zeigte die bis auf den letzten Platz gefüllte Aula am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag.

Der Präsident des Deutschen Bundestages a. D. ist, wie man schnell merkte, ein begnadeter Rhetoriker, und er kann auf eine beeindruckende politische Laufbahn zurückblicken. Seit 2018 ist er Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Mit dem Ende der DDR und mit dem Zusammenbruch des Ostblocks schien der Beginn eines demokratischen Zeitalters anzustehen − und das nicht nur in Deutschland. Viele sozialistischen Systeme brachen zusammen und der Weg in die Demokratie schien geebnet: mit lang ersehnter Meinungsfreiheit, politischer Mitbestimmung und vor allem mit freiem Wahlrecht für alle. Die Demokratie wurde nach langem Wunschdenken zur Realität und die Frage, wie man eine Gesellschaft strukturiert, schien endlich geklärt.

Frieden, Demokratie und Freiheit bestimmen den „Ausnahmezustand“, in dem wir heute leben. Darum hätten uns frühere Generationen beneidet. Aber 30 Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit wäre die Frage nach Demokratie präsenter denn je, denn die größte Bedrohung für die Demokratie sei schlicht und ergreifend sie selbst. Das größte Risiko, so Lammert, bestünde in der Durchführung freier Wahlen, eines der Leitprinzipien der Demokratie. Sie ist gegen vieles gewappnet, aber nicht gegen das Wahlverhalten ihrer Bürger. So sei es populistischen Parteien und Gruppierungen möglich, völlig legal antidemokratisches Gedankengut zu verbreiten. Leider gewannen diese Gruppen verstärkt Zulauf und Unterstützung − weltweit. So schaffte es beispielsweise die rechtspopulistisch und nationalistisch gestimmte „Lega Nord“ unter Führung von Matteo Salvini im Sommer 2018, Teil der italienischen Regierung zu werden.

Was also stabilisiert eine Demokratie und was lässt sie scheitern? Dass die Verfassung keine Schuld am Untergang der Demokratie trägt, habe uns das Ende der Weimarer Republik gezeigt. Vielmehr lernten die Deutschen aus den Fehlern. Prof. Lammert verwies auf einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden deutschen Verfassungen von 1919 und 1949: den Eingangssatz. Die Würde des Menschen für unantastbar zu erklären, sei „der steilste und anspruchsvollste Satz in einer Verfassung“ und rühre aus den Erfahrungen der Deutschen. Der Weimarer Republik hätte es an engagierten Demokraten gemangelt, die sich für die Prinzipien der Demokratie stark gemacht und für den Zusammenhalt in der Gesellschaft gekämpft hätten. „Systeme stehen und fallen mit überzeugten Demokraten“, lautete eine von Norbert Lammerts Kernaussagen. Fehlen sie, ziehen die Populisten in die Parlamente ein. „Die Mehrheit an Demokraten ist die Voraussetzung für das Überleben einer Demokratie“, mahnt Lammert. Das Problem sei, dass ein Großteil in unserer Gesellschaft die Demokratie für selbstverständlich hielte. Wir, die junge Generation, kennen keine anderen Gesellschaftssysteme und hätten deshalb die Demokratie nie schätzen gelernt. „Es bleibt schon alles so, wie es ist“ und „Was soll der Demokratie schon passieren?“ seien Gedanken, die uns zum Nichtstun animieren. Dieses Nichtstun aber bedrohe unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Rechtsstaat und Demokratie können nicht ohne einander. Ohne rechtsstaatliche Prinzipien gibt es keine Demokratie. Das habe uns die Geschichte gezeigt. Wir müssen uns also engagieren!

Prof. Dr. Norbert Lammert hielt die Zuhörer eine Stunde in seinem Bann. Scharfsinnig, treffsicher, humorvoll, wortgewaltig, die Zuhörer gleichermaßen einfangend wie mitnehmend. Das war ein Plädoyer für die Überlegenheit des Wortes, die Vorzüge des Dialoges und für die Demokratie.

Elena Klein

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Fotos: D. Seichter

 

Diese Veranstaltug förderte die Konrad-Adenauer-Stiftung e. V./Politisches Bildungsforum Sachsen.