„In Zwickau leben, heißt unter Nazis leben. In Zwickau leben heißt aber auch unter Freund*innen leben, unter Aktivist*innen, die niemals aufgeben. Zwickau ist meine Hölle, Zwickau ist meine Heimat“, zitierte Jakob Springfeld am 7. Februar 2024 vor knapp 80 Gästen aus seinem Buch „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts“. Er setzt sich für eine Gesellschaft ein, die für Toleranz, Antifaschismus und Demokratie steht.
Bereits als Jugendlicher wirkte er an der Gründung von der „Fridays for Future“-Gruppe in seiner Heimatstadt Zwickau mit. Jakob Springfeld ist der Auffassung, „nichts ist wichtiger in diesen Zeiten, als unsere Zivilgesellschaft zu stärken“. Für sein besonderes Engagement erhielt er bereits die Theodor-Heuss-Medaille.
Der Moderator Linus Merz, Schüler der Jahrgangsstufe 12, führte mit einer Vorstellung der drei Gastredner*innen Irène Mahano, Carsten Körber und Jakob Springfeld in den Abend ein, bevor Irène Mahano das Wort ergriff. Diskriminierung betreffe uns alle, weil als Gesellschaft, weswegen Rassismus niemals verharmlost werden dürfe. Das Geheimtreffen AfD-Abgeordneter und Rechtsextremer in Potsdam stelle ein Beispiel für den bereits tiefverwurzelten Hass und Rassismus dar. Aus diesem Grund hofft Irène Mahano, die Vertreterin der Konrad-Adenauer-Stiftung, auf eine tolerantere und demokratischere Gesellschaft.
Der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der CDU-Landesgruppe Sachsen Carsten Körber knüpfte an diesen Gedanken an. Er sprach von einer starken Mitte, die symbolisieren müsse: „Bis hier hin und nicht weiter.“ Körber ließ persönliche Erfahrungen in seine Rede einfließen. Auf seinen ersten Dienstreisen habe er stets stolz darauf hingewiesen, dass er aus Sachsen komme. Innerhalb von zehn Jahren sei es jedoch zu einer großen Wende gekommen. Die äußere Wahrnehmung habe sich geändert. Die Frage, ob man in Sachsen noch sicher auf die Straße gehen könne, höre er immer häufiger. Deswegen dankte er Jakob Springfeld für seine in ganz Deutschland vernehmbare Stimme. „Demokratie kann Voraussetzungen, auf die sie beruht, nicht selbst schaffen“, mit diesen Worten übergab Carsten Körber Jakob Springfeld das Mikrofon.
Jakob Springfeld teilte die Erfahrungen Körbers. Daher stehe „ostdeutsch“ in dem Titel seines Buches für all diejenigen, die sich in Ostdeutschland für Demokratie einsetzen, trotz rechtsradikaler Tendenzen. Als Reaktion auf das Geheimtreffen finden deutschlandweit Demonstrationen gegen die AfD und Rechtsextremismus statt. Springfeld äußerte große Freude über diese Proteste, dennoch wunderte er sich, dass der Aufschrei in der Gesellschaft erst so spät kam und leitete damit zu seinem Buch „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts“ über. Ein aufrüttelndes Buch mit erschütternden Geschichten. Die erste Anekdote widmete sich der Frage, wie sich Diskrimierung in Zwickau anfühle. Er selbst sieht sich als privilegiert, denn „wenn du weiß, männlich und unpolitisch bist, kannst du ein unbeschwertes Leben führen in Zwickau“, schrieb Jakob Springfeld. Er könne seine Pullover mit Aufschriften wie „Refugees-Welcome“ ausziehen und weglegen. Jedoch sei es wichtig, aktiv zu bleiben und den „Finger in die Wunde zu drücken“, betonte er.
Linh, seine erste Liebe, wohnte neben Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Die drei Rechtsterrorist*innen und Haupttäter*innen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zogen im Jahr 2000 von Chemnitz nach Zwickau. In seinem Buch schrieb Springfeld, dass diese drei Menschen „für mich der Beleg dafür [sind], welch unfassbare Gewalt ich der rechtsextremen Szene in meiner Heimat zutrauen muss.“ Deswegen lehne er Bemerkungen ab, die darauf abzielen, unter dem Thema NSU in Zwickau einen Schlussstrich zu ziehen.
Jakob Springfeld forderte mehr Aufmerksamkeit für diese Themen und eine stärkere Beachtung der Betroffenen. In einer kurzen Gäste-Umfrage bestätigte sich, dass die Namen der Täter bekannter sind als die der Opfer. Aus diesem Grund trage er zu jeder Lesung die Biografie eines Opfers vor. Das Image Zwickaus könne man durch die Aufarbeitung der regionalen Geschichte verbessern, aber stattdessen spiele man „Ping-Pong“ mit der Verantwortung, meinte Jakob Springfeld. Die Gedenkbäume in Zwickau hob er als einen positiven ersten Schritt hervor.
Jakob Springfeld erzählte außerdem von der Freundschaft mit Mostafa, der täglich Hass erlebe. In der Bahn wurde Mostafa beispielsweise von einer älteren Dame bespuckt. Daneben beschrieb Jakob Springfeld aber auch den Versuch, das Schöne zwischen all dem Hässlichen zu sehen. Er schilderte seine innere Zerrissenheit zwischen einem „leichten“ Leben in Halle und dem Aktivsein. Ein Erlebnis aus Springfelds Alltag, das alle erschreckte, hatte sich auf der Paradiesbrücke in Zwickau abgespielt. Jakob Springfeld beschrieb, wie er und seine Freunde von „Neonazis“ angegriffen, festgehalten und angespuckt wurden. Sein Freund sei mit dem Oberkörper über die Reling der Brücke gedrückt worden. Die alarmierte Polizei sei bereits wenige Minuten später erschienen, sodass die Täter erst einige Meter entfernt waren. Die Freunde hatten den Polizisten die Täter gezeigt. Zu dem Einsatz der Beamten äußert sich Jakob wie folgt: „Einer der Beamten rührte sich gar nicht, blieb in seinem Wagen sitzen. Der andere trabte in einem Tempo an, bei dem jeder Schritt zum Ausdruck purer Lustlosigkeit wurde. Nach ein paar Metern stellte er die Verfolgungsjagd, die man kaum als solche bezeichnen konnte, wieder ein.“
Die Arbeit der Polizei sollte ein Thema der anschließenden Diskussionsrunde darstellen, die Linus Merz leitete. Die Zuhörer stellten Fragen, Carsten Körber und Jakob Springfeld antworteten. „Das Vertrauen in die Behörden nimmt ab und der Gedanke, dass die Polizei nicht schützt, nimmt zu. Sollte die Polizei reformiert werden?“ Carsten Körber beantwortete diese Frage und verwies auf eine notwendige Sensibilisierung der Behörden.
Die Bedeutung der Kirche als gesellschaftlicher Akteur im Kampf gegen Rechtsextremismus sowie die Hufeisen-Theorie und der Umgang mit rechtsextremer Gewalt wurden in dem Gespräch ebenfalls besprochen. Irène Mahano stellte zudem die Frage, wie Aktivisten wie Jakob Springfeld geschützt werden könnten. Körber meinte, das Vertrauen der Gesellschaft müsse auf allen Ebenen zurückgewonnen werden, denn eine „Gesellschaft kann ohne Vertrauen nicht gedeihen“. Wenn Jakob Springfeld Polizeischutz benötige, sei es schon zu spät, fuhr Carsten Körber fort.
Linus Merz fragte diesen, wie er persönlich mit rechtsextremer Gewalt im Bundestag umgehe. Körber zeigte sich überzeugt, dass der Ausschluss der AfD und die Beschimpfung als “Nazis“ das Gegenteil erreichen, weswegen er Gespräche bevorzuge. Jakob Springfeld meinte zu der Frage, ob er stolz sei, einen Bundestagsabgeordneten zu beeinflussen, auch er suche das Gespräch als die bessere Lösung. Die Gefahr durch Rechtsextremismus betreffe uns alle, weswegen der Fokus auf diejenigen gerichtet werden solle, die (noch) von der Demokratie überzeugt sind und für die Wahl begeistert werden könnten. Eine weitere Frage lautete: „Was machen wir, wenn die AfD an die Macht kommt?“ Carsten Körber stellte diesbezüglich die verschiedenen Koalitionsmöglichkeiten dar. Jakob Springfeld warnte davor, den Kopf in den Sand zu stecken, denn es bedeute nicht das Ende der Zivilgesellschaft. Insgesamt ein positiver Abend - mit einem spannenden Diskurs, der damit schloss, dass für die Demokratie gekämpft werden muss.
Zoe Pogodalla
Diese Veranstaltung förderte die Konrad-Adenauer-Stiftung/Politisches Bildungsforum Sachsen.
Fotos: D. Seichter